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Mehr zum Film

Daniel Pöhacker zur Herstellung des Films

Der Kunsthistoriker Elio Krivdić hatte sich bereits länger intensiv mit dem Maler und Fotografen Artur Nikodem beschäftigt und auch, gemeinsam mit Günther Dankl, eine umfassende Monografie herausgegeben. Als er eine Nikodem-Ausstellung im Stadtarchiv Innsbruck kuratierte, überzeugte er mich, einen Film über den Künstler anzudenken.

Er fand, dass Artur Nikodem und seinem künstlerischen Beitrag zur Moderne viel zu wenig Beachtung entgegen gebracht wurde - ausserdem gab es filmisch noch nichts zu ihm. 
Er brachte Vorwissen und Kontakte mit, stellte mir einige von Nikodems Nachkommen vor. Einer von ihnen, Martin Krulis ermöglichte mir den Zugang zu einem großen Teil des Nachlasses, der von ihm betreut und verwaltet wird.

Der Name Nikodem war mir ein Begriff. Ich kannte auch einige Bilder: Von Ausstellungen, oder auch aus dem Gasthof ‚Bretze’ in Hall, wo wir als Familie gerne unter einem seiner Birkenbilder saßen.

Mit Filmen über Kunst und KünstlerInnen hatte ich ebenfalls Erfahrung.
 Bei diesem Film war es für mich allerdings ungewohnt, dass ich den Künstler nicht persönlich kannte, oder treffen und kennenlernen könnte - und dass ich zu Beginn des Projektes auch kein besonderes Naheverhältnis zu seinem Werk oder Leben hatte.
 Bei bisherigen Arbeiten war es mir immer wichtig, ganz nah an der Person zu sein, möglichst das künstlerische Arbeiten selbst einzufangen - und keinen erklärenden Erzähler zu brauchen, der verbal vermittelt. Ich wollte den ZuseherInnen immer eine eigene, möglichst unbeeinflusste Wahrnehmung ermöglichen, ihnen ihren eigenen Blick zutrauen.

Als 15jähriger hatte ich die Filme von Hans Cürlis gesehen, ich war damals hin und weg! Filme über Künstler - ohne Ton und nur schwarz/weiss.
 Cürlis hatte viele der expressionistischen KünstlerInnen der 1920er Jahre aufgesucht und bei der Entstehung von je einem ihrer Werke jedesmal einen stummen s/w Film gedreht: Immer vor der leeren Leinwand beginnend - bis hin zum fertigen Gemälde.

(Nach dem Auffinden der bis dahin unbekannten Filmrollen auf einem Dachboden in Ostdeutschland, ging ein Aufschrei durch die Kunstgeschichte. Sie zeigten u.a. ungeahnte Facetten und Hintergründe, von denen niemand ahnen konnte - zum Beispiel, mit welchem Affentempo Max Beckman seine Bilder gemalt hatte o.ä.)

Mich berührte sein unaufgeregtes und konsequentes Konzept, sein kompromissloses Vertrauen in die Arbeit an der Kunst.

Als meine Recherche für den Film begann, wurde immer klarer: Mein Material sind tatsächlich und ausschliesslich Bilder, Skizzen, Fotografien, Schriftstücke - fertige Dinge.

Einem Archäologen ähnlich arbeitete ich mich durch unzählige, z.T. sehr private Skizzen, Notizen, Briefe und Tagebucheinträge. Eine langwierige und aufwändige Arbeit, die mir selber den Künstler erst wirklich näher brachte und mir sagte, seine Gedanken können uns durch den Film geleiten.

Dabei gab es für mich schöne und spannende Entdeckungen, aber auch Momente des Unbehagens: z.B. als ich auf die Liebe des bereits älteren Mannes zu seinem sehr jungen Modell stiess. Oder als ich erfuhr, dass er in der Zeit des Nationalsozialismus anfänglich unentschieden - kein unantastbarer Held war. Nicht alles war mir immer sympathisch. Sein klarstes Statement gegen das herrschende Regime fand ich eigentlich in seiner Arbeit selber: Die Bilder dieser Zeit sind unmissverständlich, sie werden so abstrakt und modern, so „entartet“ wie man es sich nur wünschen kann.

Ich ordnete das Material.

Über Fülle - oder Mangel - ergab sich eine Gewichtung der Themen. Mein eigenes Bild von Mensch und Leben begann Form anzunehmen.
Ich vertiefte mich in seine Arbeiten, Themen, in seine künstlerische Sprache, wie sich diese Sprache verändert und entwickelt. Ich fand sein Leben in seiner Arbeit wieder.  

Mit Beginn der Dreharbeiten dann, suchten wir Galerien und Sammler auf, um bei den Originalen zu sein. Ich wollte keinesfalls mit existierenden Fotos von Werken arbeiten - sondern stellte mir eine unmittelbare Nähe zu den Bildern, sozusagen eine bewegte Reise über Bildlandschaften vor. Ich brauchte eine Form für meinen Film: Die Zuversicht wuchs, dass es gelingen könnte, die Nähe zu Person und Arbeit über die Nähe zu seinen Bildern zu vermitteln.

Mir ist bewusst, dass der Film für viele eine Herausforderung sein kann.
So viele Bilder, so viel Blättern in Papier. Kaum Kommentare von ExpertInnen - die Informationen fast zur Gänze auf das reduziert, was er selbst aufgeschrieben hat. Keine Musik, keine Unterhaltung oder Ablenkung. 
Und natürlich die Langsamkeit, die meine bewusste Entscheidung ist.

 

Der Kunsthistoriker Elio Krivdić zum Film

NIKODEM

Artur Nikodem wurde 1870 in Trient geboren. Seine Mutter war eine aus Verona gebürtige Italienerin, während sein Vater einer deutsch-böhmischen Ehe aus Prag entstammte, wodurch sich auch der tschechische Name der Familie Nikodem (Nicodem) erklärt. Den Großteil seines Lebens verbrachte Artur Nikodem aber in Tirol, lebte in Meran und Innsbruck.

Zur Kunst Artur Nikodems (1870–1940) wurde bereits Vieles realisiert: Neben regelmäßig stattfindenden Ausstellungen, vor allem zu seiner Malerei, fanden in den letzten Jahren eine ganze Reihe Ausstellungen statt, bei denen auch seine Fotokunst präsentiert wurde. Diese wurden mit einigen Ausstellungskatalogen dokumentiert, eine umfangreiche Monografie erschien im Jahr 2017.

Mit einem Dokumentarfilm zu seiner Kunst, die in die Zeit der europäischen Moderne fällt, wollte man diese künstlerische Persönlichkeit auch filmisch erfassen.
Biographische Details sind dem Filmemacher Daniel Pöhacker allerdings weniger wichtig: Der Film konzentriert sich auf sein Werk. Die Annäherung an Nikodems Bildsprache und seine künstlerische Intentionen stehen im Mittelpunkt. Entstanden ist ein langsamer, kunstvoll gestalteter Film, der uns durch die Darstellung seines eigenen schöpferischen/künstlerischen Anliegens auch die Person Nikodems näher bringt.

Eine genaue, gründliche Beobachtung, die alles Gesehene tief im Inneren sublimiert, war eine der künstlerischen Begabungen von Nikodem. Das sinnliche Empfinden der Form, und des für sie so wichtigen Charakteristikums, der Farbe, faszinierten Nikodem, schon seit frühester Jugend.
„Ich habe Sachen zu sagen, die nur durch Formen und Farben ausgesprochen werden können, und deswegen muß ich malen“ / „(...) wenn die Gegenstände keine Farbe hätten, hätten wir sie nicht sehen können“. Oder dass Farben „nicht nur für unser Sehen da sind“ sind Gedanken des Malers, die im Film vorkommen.

Diese Gedanken und Sätze, die seinen Notizheften entnommenen sind, tragen die Erzählung. Die erzählende Stimme bildet eine Art Hintergrund, klingt wie aus der Tiefe einer anderen Zeit kommend.
Über diese Texte, vor allem aber über Nikodems künstlerische Arbeiten, erfahren wir von seinen Reisen und seiner Sicht auf andere Kulturen. Von seiner Geliebten Maria Gunda Wiese, die jung verstarb, sowie von seiner zweiten Ehefrau Barbara Nikodem. Die Zeit der 1930er Jahre und der Nationalsozialismus wird erzählt:

In diesen schwierigen Jahren entstanden seine kleinsten, vielleicht aber auch die stärksten seiner Werke, in denen er zum ersten Mal die Abstraktion in die Kunstgeschichte Tirols einführte.

Diese Zeit der Moderne, in der sich eine Stufe in der Evolution der menschlichen Wahrnehmung erst etablierte und deren Ideen sich zu dieser Zeit auch in der Provinz, abseits der großen Kulturzentren, ausbreiteten, legte man Wert auf eine stark individualisierte Interpretation, auf das sehr persönlich empfundene Erlebnis der Natur und des Menschen.

In Tirol war Nikodem einer von den ersten - und deshalb wichtigsten - der diese moderne Anschauung in jeder Hinsicht umsetzte.

Nikodem entwickelte eine sehr persönliche Bildsprache, sowohl in seiner Malerei und Zeichnung, als auch in seiner Fotografie.
Seine künstlerische Entwicklung ist nicht immer geradlinig, aber immer konsequent. Immer im Bemühen, das Empfundene möglichst „kurz und bündig“ auszudrücken, wobei er auch bei einer so erreichten Reduktion, den größten Wert auf das Ästhetische von Form und Farbe legte. Es entwickelte sich ein eigener, unverwechselbarer künstlerischer Ausdruck.

Der Film über Artur Nikodem zeigt, dass ein harmonischer Spagat zwischen Dokumentarischem und Künstlerischem in einem Werk möglich ist - wobei die Betonung eindeutig auf „künstlerisch“ liegt. Das Zusammenspiel von diesen, so oft als entgegengesetzt empfundenen Eigenschaften, ist hier gelungen.